Der "faule zauber" der zwanglosen hundeerziehung von thomas baumann

Der „faule Zauber“ einer zwanglosen Hundeerziehung.
Ein Hundebesitzer hat mich auf folgende Aussage in einer Internet-Präsenz aufmerksam gemacht.
Der Themenschwerpunkt dieser Präsenz befasste sich – wieder mal – mit der scheinbar glücklich machenden Hundeerziehung ohne Zwänge bzw. ohne reglementierende „Strafreize“.
Der Inhalt der Aussage:

„Ich selbst würde einem Menschen mehr vertrauen, der freundlich und nett mit mir umgeht, als einem, von dem ich hin und wieder eine geschmiert bekomme“.

Dem ist vollumfänglich zuzustimmen, wenn es im Zusammenleben zwischen Mensch und Hund ausschließlich um VERTRAUEN gehen würde. Doch alleine mit VERTRAUEN ist noch lange keine optimale Mensch-Hund-Beziehung erreicht. Nur mit VERTRAUEN lässt sich noch lange kein stabiles Beziehungs-Fundament errichten. VERTRAUEN bringt nämlich nicht automatisch ORIENTIERUNG mit sich und ein Hundehalter wünscht sich doch nichts sehnlicher, als dass sein Vierbeiner ihm nicht nur VERTRAUT, sondern dass er sich gleichzeitig in allen denkbaren Konflikt- bzw. Stresssituationen des Alltags auch an ihm ORIENTIERT. Dass er sich beispielsweise nicht einfach die „Freiheit“ herausnimmt, beim Spaziergang andere Hunde zu attackieren oder gar fremde Menschen anzuspringen.
Es gibt unzählige Hunde, die ihren Zweibeinern blind vertrauen, im Alltag jedoch permanent unerwünschtes Verhalten aufzeigen. Vertrauen ist da, Orientierung hingegen Fehlanzeige!
Als nicht ganz einfaches Grundschulkind habe ich in den 1960-er Jahren heftige Extreme im pädagogischen Auftreten meiner Lehrer kennengelernt. Es gab ein paar Lehrer und auch Lehrerinnen, denen ich nicht vertrauen konnten, weil sie sich – kombiniert mit Wutausbrüchen – als züchtigende Schläger erwiesen hatten. Bei einem bereits in die Jahre gekommenen Lehrer lag schon obligatorisch der Rohrstock auf dem Pult. Das „Vergessen“ von Hausaufgaben (mein ständiges Problem) reichte aus, um Haue zu bekommen. Im Ergebnis stand Angst vor jeder Unterrichtsstunde, nicht mehr und nicht weniger. VERTRAUEN zu finden, war für mich als Kind unter diesen Umständen unmöglich.
Doch dann kamen auch „moderne“, junge Pädagogen, die keinerlei Anspruch an autoritäres Denken und Handeln hatten. Sie waren nett, freundlich und ihnen konnte ich VERTRAUEN.
Das war dann aber auch alles. ORIENTIERUNG konnte ich als Kind auch zu diesen Personen nicht aufbauen. Diese völlig andere Extrem (Antiautorität) führte überhaupt nicht dazu, dass ich Lust auf mehr Hausaufgaben bekam. Ich hatte dabei als Kind keinerlei Respekt vor diesen Lehrern und machte weiterhin, was ich wollte.
Dass ich letztlich in meiner Erinnerung nur zwei Lehrer behalten habe, denen ich vertraute und an denen ich mich auch orientierte, lag daran, dass sie sehr wohl Autorität aber auch wohlwollende, empathische Geborgenheit vermitteln konnten. Was diese Menschen auszeichnete, war eine ausgesprochene FAIRNESS mir gegenüber. Situativ gab es strenge Reglementierungen (da war auch mal eine Ohrfeige dabei), doch anschließend legte sich empathisch und tatsächlich fürsorglich ein Arm um meine Schulter – nicht selten mit den Worten „So Thomas und jetzt bringen wir das wieder in Ordnung“.
Das Überschreiten einer „roten Linie“ wurde strikt und nachhaltig reglementiert und jedes Verhalten hinter der „roten Linie“ wurde durch sozialen Zuspruch positiv verstärkt.
Bei diesen beiden Lehrern war ich ein sehr guter und vor allem aufmerksamer Schüler.
Aus heutiger Sicht hätte ich mir als Kind nichts sehnlicher gewünscht, als mehr von dieser „Sorte“ Lehrer. Deren FAIRNESS begegnete ich mit VERTRAUEN, RESPEKT (keine Angst) und ORIENTIERUNG.
Man bezeichnet diesen Erziehungsstil übrigens als autoritativ.
Wie anders kann es denn erklärbar sein, dass ich in der scheinbar so modern gewordenen (zwangfreien) Hundeerziehung schon viele Jahre lang gebetsmühlenartig auf deren Risiken und Nachteile hinweise. Würden wir unsere Hunde rein autoritär erziehen, hätten wir kaum Probleme mit unseren Hunden, aber die Hunde hätten Probleme mit uns und damit nur wenig Lebensqualität.
Wenn wir aber unsere Hunde frei von erzieherischen Zwängen und losgelöst von reglementierenden Einwirkungen durch das Leben begleiten, haben die Hunde keine Probleme mit uns – wir aber mit unseren Hunden. Und dieser Umstand sollte zur Überzeugung führen, dass wir mit VERTRAUEN alleine keine solide Beziehungsbasis zwischen Mensch und Hund erreichen können. Konstruktiv Grenzen setzen und beim Überschreiten einer „roten Linie“ keine Furcht vor einer fairen(!) Auseinandersetzung mit dem Vierbeiner haben. Und vor allem nicht dem „faulen Zauber“ angeblich intelligenter, beschwichtigender, ablenkender und letztlich häufig unbrauchbarer Trainingsmethoden verfallen. Einfach mal NEIN sagen und dieses NEIN dem Hund auch so vermitteln, dass er es als NEIN erkennen und verstehen kann.
Nur so kann Hundeerziehung zu einem harmonischen Miteinander inklusive Lebensqualität für alle Beteiligten funktionieren.
Wer sich einseitig immer und immer wieder ausschließlich für die zwanglose Hundeerziehung ausspricht, hat ganz sicher keinen Heiligenschein sondern kann für sich maximal Scheinheiligkeit beanspruchen. Die Leidtragenden (Hundebesitzer und Hund) erkennen diesen Umstand allerdings häufig erst dann, wenn sie im Alltag vor zunehmend schwerer lösbaren Problemen im Umgang mit ihren Vierbeinern stehen.